Allfinanzvertrieb profitiert von persönlicher Beratung

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Es ist seit vielen Jahren eine Binsenweisheit, dass die staatliche Rente für einen komfortablen Lebensabend nicht ausreicht. Für die meisten von uns führt kein Weg an der privaten Vorsorge vorbei. Dabei sind die Leser des Nebenwerte­Journal als aktive Börsianer eine Minderheit, während für viele der Kapitalmarkt und die private Vorsorge Themen sind, die ungern angepackt werden. Da ist professioneller Rat gefragt, den OVB ihren Kunden bietet. Der absehbar wachsende Bedarf veranlasste uns, der OVB Holding AG eine Titelgeschichte zu widmen.

Das Angebot schließt auch den Versicherungsschutz ein: Standardprodukte wie Reiserücktritts- oder Kfz-Versicherungen lassen sich heute bei hoher Preistransparenz bequem per App oder PC abschließen, aber bei der Absicherung existenzieller Risiken wird die persönliche Beratung weiterhin in Anspruch genommen. Hier setzen die Allfinanzvertriebe an und bieten im Idealfall eine lebenslange themenübergreifende Begleitung. Mit mehr als 4 Mio. Kunden und rund 5800 hauptberuflichen Finanzvermittlern zählt OVB zu den führenden Allfinanzvertrieben in Europa. 1970 gegründet, ist die Gruppe mittlerweile in 16 Ländern vertreten und hat sich die Bezieher mittlerer bis höherer Einkommen als Zielgruppe auserkoren. Rund 70 % der vermittelten Produkte betreffen Vorsorge, 18 % Versicherungen und 12 % Bausparen/Finanzierungen. Die Kennzahlen berichtet der Konzern nach den regionalen Segmenten Mittel-/Osteuropa (Anteile an den Erträgen 53 %), Deutschland (18 %) und Süd-/Westeuropa (29 %).

Eine Strategieperiode endet, eine neue beginnt

Im Geschäftsjahr 2022 haben die Kölner ihr 2017 aufgelegtes Strategieprogramm „Evolution 2022“ abgeschlossen (s. a. NJ 5/21). In diesem Zeitraum stieg die Anzahl der Kunden von 3.4 auf 4.3 Mio. und der Vermittler von 4702 auf 5772. Die Erträge aus Vermittlungen erhöhten sich um 47.3 % auf € 332 (225) Mio. Dabei konnte die Marge nicht ganz mithalten, das EBIT stieg unterproportional um 37.5 % auf € 22 (16) Mio. Fairerweise ist zu berücksichtigen, dass die EBIT-Marge im ersten Jahr des Zyklus mit 7.1 % außergewöhnlich stark war, so dass die Messlatte sehr hoch lag. In diesem Jahr wird das Nachfolgeprogramm „Excellence 2027“ verabschiedet, dessen Eckpunkte bereits im Geschäftsbericht 2022 veröffentlicht wurden. Dann soll auch in der Nachhaltigkeitsstrategie ein neues Kapitel aufgeschlagen werden, wobei die Musik weniger im Ressourcenverbrauch des operativen Geschäfts der Gruppe als viel- mehr in der Auswahl der Anlageprodukte spielt. (Zu beiden Strategieperioden s. a. das CEO-Interview auf Seite 10.)

Geschäftsjahr 2022 solide gemeistert

Allfinanzvertriebe können sich von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage nicht entkoppeln; auch für OVB war 2022 ein anspruchs- volles Geschäftsjahr. Die Inflation führte zu Kostensteigerungen, die auf Grund des Geschäftsmodells nicht ohne Weiteres auf die Kunden abgewälzt werden können. Zudem sinkt bei geringeren verfügbaren Einkommen und Konjunktursorgen die Bereitschaft der privaten Haushalte, in Vorsorgeprodukte zu investieren. Insgesamt steigerte der Konzern die Erträge aus Vermittlungen um 3.5 % auf € 332 (321) Mio. Während das EBIT noch einen geringen Zuwachs auf € 22 (21.8) Mio. verzeichnete, sank das Nettoergebnis um 6.6 % auf € 14.7 (15.7) Mio. Bei einem Ergebnis je Aktie von € 1.03 (1.10) wurde die Ausschüttung des Vorjahres von € 0.90 je Aktie beibehalten.

In allen Regionen mehr Kunden

Erfreulich ist, dass in allen drei Regionen die Anzahl der Kunden gesteigert werden konnte, konzernweit lag sie zum Bilanzstichtag bei 4.27 (4.13) Mio. Auch die Anzahl der Berater erhöhte sich mit Ausnahme des deutschen Heimatmarkts und erreichte ins- gesamt 5772 (5603). Die Basis für künftiges Wachstum wurde somit verbreitert.

Die Bilanz per Ende Dezember 2022 weist bei einer soliden Eigenkapitalquote von 35.8 (35.4) % liquide Mittel von € 80.6 (74.6) Mio. aus. Dieser hohe Cash-Bestand ist Umschichtungen in den Finanzanlagen geschuldet, soll aber weiter abschmelzen in Richtung eines Normalwerts von rund € 50 Mio.

Ausblick 2023 verhalten

Mit dem Abschluss 2022 hat das Unternehmen auch einen Ausblick für 2023 veröffentlicht, der nach Vorlage der Q1-Zahlen Anfang Mai bestätigt wurde. Die Vermittlungserträge sollen mit € 325 bis 350 Mio. in etwa auf dem hohen Vorjahresniveau liegen. Das EBIT wird hingegen mit € 16 bis 19 Mio. klar unterhalb des Vorjahreswertes von € 22 Mio. erwartet. Während in Süd-/ Westeuropa das Ergebnis wachsen soll, wird für Deutschland und Mittel-/Osteuropa mit sinkenden Ergebnissen gerechnet. Auf Ebene der im Segmentbericht separat ausgewiesenen Zentralbereiche wird ein erhöhter Fehlbetrag erwartet. Entwicklung und Implementierung der neuen Strategie werden mit (Einmal-)Aufwendungen das Ergebnis belasten, und nicht zuletzt schlägt die Inflation auf allen Ebenen zu Buche – die zugleich die Ausgabenbereitschaft der Zielgruppen bremst. Operativ befindet sich der Konzern derzeit somit in einer gewissen Zwickmühle.

Q1 2023 wie erwartet schwächer

Dementsprechend waren die ersten drei Monate des laufenden Geschäftsjahres 2023 weiter von schwierigen Rahmenbedingungen mit hartnäckiger Inflation und hohen Zinsen geprägt. Bei den Kunden führte dies zu anhaltender Zurückhaltung beim Abschluss von Neuverträgen. Dennoch erreichten die Erträge aus Vermittlungen mit € 83.4 (84.2) Mio. nahezu den Wert des Vorjahresquartals, wobei die Erträge in Deutschland und Süd-/Westeuropa sanken, in Mittel-/ Osteuropa dagegen zulegten.

Das EBIT ging allerdings in allen drei Regionen deutlich zurück und sank auf Konzernebene um fast die Hälfte auf € 3.1 (6) Mio. Inflationsbedingt höhere Kosten, Personalaufbau und die Zunahme von Präsenzveranstaltungen, die im Vorjahresquartal noch von der Pandemie gebremst waren, sind die Gründe. Bei einem um mehr als € 1 Mio. verbesserten Finanzergebnis und sinkender Steuerquote reduzierte sich das Nettoergebnis um 31.9 % auf € 2.3 (3.4) Mio. bzw. € 0.16 (0.24) je Aktie.

Corona gemeistert, Positionierung stimmt

Der Allfinanzvertrieb beruht auf persönlichem Vertrauen, das wiederum im persönlichen Kontakt entsteht. Umso mehr bildete die Pandemie eine scharfe Zäsur. Allerdings ist u. E. davon auszugehen, dass OVB diese Phase nicht nur gut gemeistert, sondern sie als Katalysator für eine Transformation und Dynamisierung des Geschäftsmodells genutzt hat. So wurden in den vergangenen drei (Corona-)Geschäftsjahren historische Bestmarken bei den Erträgen er- wirtschaftet. Die Klaviatur der Kundenansprache ist breiter geworden, die Wünsche der Kunden für die Art der Interaktion können präzise gemessen und punktgenau erfüllt werden. Im Idealfall steigen sowohl die Effizienz als auch die Kundenzufriedenheit. Entgegen des von Medien und Beratern suggerierten disruptiven Umschwungs ins Digitale wird das persönliche Beratungsgespräch, gerade bei weitreichenden Entscheidungen, geschätzt und aktiv nachgefragt. Dabei rühmt sich OVB mit einer jungen Vertriebsmannschaft, die sie für die Produktgeber als Vertriebsorganisation besonders attraktiv mache.

Gelungene Internationalisierung

Die Internationalisierung hat nicht nur Wachstum und Diversifizierung gebracht, sondern bietet auch bei der Personalgewinnung Vorteile, da innerhalb des Konzerns länderüberschreitende Karrierewege darstellbar sind. Als nächste Zielregionen hat der Vorstand Portugal, Luxemburg und das Baltikum ins Auge gefasst (s. Interview S. 10).

Denkt man beim Thema Digitalisierung zunächst an die Interaktion mit den Kunden, so ist ihre Rolle im „Maschinenraum“ des Geschäftsmodells nicht zu unterschätzen. In einem zentralen europäischen Rechenzentrum sind alle Systeme gebündelt, bei Provisionsabrechnungen, Datenauswertungen oder Dokumentationen aller Art liegen einerseits beträchtliche Skaleneffekte und Markteintrittsbarrieren andererseits vor.

Ein regulatorisches „Drohszenario“ ist vorerst ausgeblieben: Das Provisionsverbot für Finanzdienstleistungen fand auf EU- Ebene nicht genug Unterstützung. Allerdings soll das Thema evaluiert werden und in drei Jahren wieder auf den Tisch kommen. Das Damoklesschwert über dem Geschäftsmodell ist also nicht verschwunden, aber vorerst beiseite gehängt.

Niedriger Streubesitz, hohe Dividendenrendite

Das Grundkapital liegt zum überwiegenden Teil in den Händen großer Versicherungskonzerne, lediglich 3 % stehen dem Streubesitz zur Verfügung, der mit Prime-Standard-Notiz und professionellen Investor Relations allerdings auf höchstmöglichem Niveau informiert wird. Seit Aufnahme der Börsennotierung 2006 wurden stets Gewinne ausgewiesen und in jedem Jahr eine Dividende gezahlt. Im Zeitraum der Strategie „Evolution 2022“ stieg der Kurs insgesamt um 41 %. Zudem wurden für die betreffenden Geschäftsjahre in Summe respektable € 5.05 je Aktie an Dividenden ausgeschüttet. In den vergangenen Jahren lag die Dividendenrendite jeweils um die 4 %.

Oliver Vollbrecht