Gender Medizin – Von Männergrippe und Frauenschnupfen

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Gender Medizin – Von Männergrippe und FrauenschnupfenGender Medizin – Von Männergrippe und Frauenschnupfen

Rheuma und Osteoporose werden häufig als „Frauenkrankheiten“ bezeichnet. Bei jungen Männern ist hingegen das Risiko eines Herzinfarkts deutlich höher.1 Werden Frauen und Männer also unterschiedlich krank?

Der plötzliche Herztod beim Sport – ein Phänomen, das hauptsächlich unter Männern auftritt. Frauen leiden eher am Broken-Heart-Syndrom, einer undefinierten Form der Herzmuskelerkrankung. Und auch Herzinfarkt ist nicht gleich Herzinfarkt. Die Beschwerden der Geschlechter unterscheiden sich hier enorm und auch die Reaktionen auf Medikamente sind nicht gleich. Gegen Herzschwäche wurde in den 90er-Jahren beispielsweise das Medikament Digoxin verschrieben. Bei genderspezifischen Analysen stellte sich jedoch heraus, dass die Substanz bei Männern zwar eine gute Wirkung zeigte, bei Frauen aber zu einer Erhöhung der Sterblichkeit führen konnte. Ein weiterer Unterschied: Altersbedingte Herzschwäche wird bei Männern häufig durch eine Störung der Pumpfunktion ausgelöst, bei Frauen durch eine Störung der Dehnbarkeit des Herzmuskels.

Das Fazit: Krankheitsrisiken, -symptome und -ursachen unterscheiden sich je nach Geschlecht. Entsprechend muss es auch alternative Behandlungsstrategien geben.

Ursachen werden bereits erforscht

Doch warum gibt es solche Differenzen zwischen Männern und Frauen? Genau mit dieser Frage befasst sich die Forschung im Bereich der Gender Medizin. Einige Ursachen hat man bereits ermittelt: Der weibliche Körper nimmt Medikamente anders auf und scheidet sie auch anders wieder aus. Darüber hinaus spielt die Interaktion zwischen Medikamenten und  Sexualhormonen eine große Rolle. Medikamententests wurden früher überwiegend an jungen männlichen Mäusen durchgeführt. Welchen Einfluss Testosteron oder Östrogen auf die unterschiedlichen Substanzen hatten, wurde also gar nicht ermittelt. Heute wissen wir aber, dass Hormone die Medikamentenaufnahme signifikant beeinflussen. Auch Umwelteinflüsse wie Stress, Rauchen oder Abgase wirken je nach Sexualhormon anders.

Im Alter nehmen diese hormonbedingten Unterschiede zwar ab, allerdings spielen dann chromosomale Differenzen eine größere Rolle. Durch das zweite X-Chromosom haben Frauen einen biologischen Vorteil. Auf dem Y-Chromosom liegen nämlich Gene, die hauptsächlich für die Ausprägung des Geschlechts verantwortlich sind. Auf dem X-Chromosom hingegen Gene, die Herz-, Hirn- und Immunfunktionen bestimmen. Kommt es durch Mutationen am Genom zu einem Schaden in diesem Bereich, können Frauen diesen durch das zweite X-Chromosom kompensieren. Männer müssen ohne eine solche Reserve auskommen. Angeborene Immunschwäche, welche überwiegend bei Jungen auftritt, wird deswegen mit Genen auf dem X-Chromosom in Verbindung gebracht, von denen Männer nun mal keine Sicherheitskopie besitzen.

Frauen werden häufiger krank

Zahlreiche Studien wie der European Working Condition Survey belegen andererseits, dass sich Frauen häufiger krankschreiben lassen als Männer.2 Der wohl offensichtlichste Grund für die zusätzlichen Krankheitstage liegt in der Natur: Frauen werden nun mal schwanger und Männer eben nicht. Häufig wird auch die Doppelbelastung der Frauen, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen, als mögliche Ursache für das Ungleichgewicht genannt. Allerdings gibt es auch Studien, die das Muttersein mit einer niedrigeren Krankheitsrate in Verbindung bringen. Die Forschung ist sich hier also noch nicht einig.3

Einig ist man sich aber darüber, dass es äußerst wichtig ist, die Geschlechterunterschiede in der Medizin zu verstehen. Nur so kann man sowohl Frauen als auch Männern eine optimale und effiziente Behandlung gewährleisten. Schon 1988 rief die World Health Organization deshalb Länder und internationale Organisationen dazu auf, einen stärkeren Fokus auf diesen Forschungsbereich zu legen.4 Das Institut für Geschlechterforschung in der Medizin in Berlin wurde im Jahr 2003 gegründet. Erst kürzlich veröffentlichte es in Kooperation mit einigen anderen europäischen Gesundheitsorganisationen einen Bericht über die Geschlechterunterschiede bei koronaren Herzerkrankungen.5

1 BR Mediathek
2 eurofound.europa.eu
3 European Journal of Public Health
5 gender.charite.de

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